Wohlsborn

Lebenswerte Gemeinde im Weimarer Land

40 Jahre Beat in Wohlsborn

Beitrag veröffentlicht am: 21.08.2005 | Autor: Ortschronist Thomas Fischer

Foto: von pixabay

In diesem Artikel möchte ich an ein kleines Jubiläum erinnern: vor 40 Jahren, am 21. August 1965 wurde erstmals in Wohlsborn ein „Beat-Tanz“ veranstaltet. Es spielten die „Five Ducks“ aus Weimar mit Jochen Steinmetz als Leiter der Band.

Wie kam es dazu? Anfang der 60er Jahre war der Rock`n Roll kaum noch gefragt. Einer neuen Generation Jugendlicher war diese Musik-Richtung zu einseitig, die konventionelle Tanzmusik lehnten sie sowieso ab. In Großbritannien hatten sich um diese Zeit Gruppen gebildet, die gemeinsam Musik machten, die vielen Jugendlichen gefiel. Mit den „Beatles“ und den „Rolling Stones“ machten auch die damals bekanntesten Gruppen ihre ersten Versuche.

Mit dem Titel „She Loves You“ von den „Beatles“ begann die „Beat-Ära“ ihren Siegeszug um die Welt. Ihre Frisur („Pilzköpfe“), die Schlaghosen – alles wurde nachgemacht. Im Rundfunk und Fernsehen der DDR war diese Musik damals noch nicht zu hören. Erst mit dem Deutschlandtreffen 1964 änderte sich das – ein Sender wurde nur für dieses Treffen eingerichtet – DT 64. Jetzt konnte man auch auf diesem Sender „Beat“-Musik hören. Nach dem Treffen wurde der Sender wieder abgeschaltet, wegen seiner Beliebtheit aber bald als ständiger Sender bis zur Wende eingerichtet.

Ansonsten hörten wir Beatmusik von „Radio Luxemburg“, „Sender Prag“ (mit dem Titel „Jailhouse Rock“ von Elvis Presley als Erkennungsmelodie) auf Kurzwelle mit ständigem Nachregeln des Senders am Radio, weiterhin „Europawelle Saar“, „AFN“ und die von der DDR gesteuerten Sender „Freiheitssender 904“ und „Deutscher Soldatensender“ auf Mittelwelle. Das Angebot auf UKW war 1963/64 noch eher dürftig. Neben DT 64 war in Wohlsborn HR 3 und BFBS (britischer Soldatensender), meiner Erinnerung nach, zu empfangen.

Im Internat der EOS in Bad Berka, die ich bis zum Abi 1965 besuchte, waren die Empfangsverhältnisse ähnlich, man durfte sich allerdings nicht erwischen lassen. In der 12. Klasse hatten wir im Internat ein Tonbandgerät (ein BG 19 „Smaragd“), mit dem wir nun, heimlich, Beatmusik aufnehmen konnten und in der Freizeit nach „Hippi, Hippi Shake“ von den „Swinging Bluejeans“, „Rock`n Roll Musik“ von den „Beatles“ oder „Skini Mini“ von Roy Orbison „verrückt“ tanzten.

In Wohlsborn war im Backhaus über dem Raum mit dem Backofen ein Jugendzimmer eingerichtet worden, in dem wir Tischtennis oder Karten spielen oder auch Musik hören konnten. Dazu diente ein Röhrenradio, an den wir auch einen Plattenspieler anschließen konnten. Dann legten wir Platten auf, vorwiegend Singles. Das war etwa ab Herbst 1964 üblich. Schallplatten mit Beatmusik zu beschaffen, war gar nicht so einfach. Mein Großvater durfte 1964 erstmals wieder in die BRD zu seinem Sohn fahren und brachte mir eine Single-Schallplatte mit: „Don`t ha, ha“ von Casey Jones and his Engineers und außerdem hatte ich die Platte „Motor Biene“ von Benny Quick. Diese Platten wurden nun immer wieder abgespielt (und existieren noch heute!).

Damals gab es auch einen Versandhandel des Tschechoslowakischen Kulturzentrums in Leipzig, bei dem ich einige Platten bestellte. Insgesamt steuerte ich im Laufe der Zeit 19 Platten zu unseren Treffen bei. Dabei wurde natürlich auch unkonventionell getanzt. Das kam nämlich noch dazu: die Standardtänze waren nicht mehr gefragt. Der „Twist“ war die Grundlage für das Tanzen nach der Beatmusik. In der Tanzstunde wurde dieser Tanz auch schon gelehrt. Öffentlich gab es aber kaum Gelegenheit, danach zu tanzen.

In Weimar war es das Jugendklubhaus „Walter Ulbricht“ („Ami“), in dem erstmals Beat-Tanzveranstaltungen durchgeführt wurden. Erst mit Beginn 19.00 oder 20.00 Uhr, später kam der „Tanztee“ um 15.00 Uhr dazu, weil die Jugendlichen, die nach dieser Musik tanzen wollten, immer jünger wurden. Es spielten solche Bands wie z.B. „Polars“ aus Gotha oder „Hitband Zeitz“. Das waren totale Gegensätze zu den Kapellen die Schlager spielten, wie „die Orions“, „die DS-Combo“ oder „Trumpf As“. Während der Himmelfahrtskutschfahrt der Wohlsborner Jugend, an der auch Klaus-Dieter Hasse und mein Bruder Hartmut teilnahmen (ich musste fürs Abi büffeln), kamen sie in einem Ort zu einer Probe der Beatgruppe „Dollars“. Dieter und Hartmut waren von mir mit dem Beatvirus infiziert worden und fanden diese Lifemusik gut.

Die Idee, in Wohlsborn eine Tanzveranstaltung mit einer „Beatgruppe“ zu organisieren, war geboren. Nun war das einfacher gesagt, als getan. Es musste ein Tanzschein bei dem VPKA beantragt werden, der nur bearbeitet wurde, wenn ein Tanzsaal nachgewiesen werden konnte. Das war für uns der Saal der Gaststätte „Zur Erholung“(Strobach, Artur) Die Band musste eingestuft sein. Es gab vier Klassen: Unterstufe, Mittelstufe, Oberstufe und Sonderstufe. Entsprechend dieser Einstufung konnte eine Band dann auch ihre Honorarforderung stellen. Die Kapelle musste eine Liste der gespielten Titel und von welchem Künstler zur AWA (Anstalt zur Wahrung der Aufführungsrechte) einreichen, natürlich mit dem Verhältnis 60:40. Das war das Verhältnis Osttitel zu Westtitel. Es durften alle Titel gespielt werden, außer solche, die mit VE gekennzeichnet waren. (VE heißt verbotene Einfuhr) Veranstalter musste die FDJ sein.

Natürlich gab es eine FDJ-Gruppe in Wohlsborn, aber vor allem wegen der Tanzveranstaltungen. Die Bekanntmachung der Veranstaltung erfolgte in der Zeitung (Das Volk und TLZ) sowie auf selbst angefertigten Plakaten. Das alles war erfüllt, als die erste Tanzveranstaltung dieser Art in Wohlsborn durchgeführt wurde. Ich zitiere dazu einen Ausschnitt eines Briefes vom 10.08.1965, den ich erhielt, als ich einige Wochen nicht zu Hause war: „Nun habe ich noch eine gute Nachricht für Dich: Ich habe unseren Boys den Vorschlag mit dem Tanz gemacht. Einverstanden waren sie alle – bis auf Ausnahmen. Schwierigkeiten machte jedoch die Vorsilbe „Beat“. Die meisten wussten nichts damit anzufangen und außerdem ist es für sie „Neuland“. Schließlich setzten Dein Bruder und ich durch, dass wenigstens auf den Plakaten Beat-Ball und in der Zeitung Jugendball steht, wegen des Tanzscheines. Da Du erst am 19.8. zurückkommst, habe ich den 21.8. als Termin vorgeschlagen und fand Zustimmung. Wir haben eine Kapelle mit „Beatcharakter“ (2 Gitarren, Schlagzeug usw.). Es kennt sie bisher keiner von uns, doch sie hat schon im Jugendklubhaus gespielt und wir setzen alle Hoffnungen in sie. Sie heißt „Die fünf Ducks“. Auf die Plakate schreiben wir: „The five Ducks“. Klingt mehr englisch.“

Der Tanzabend wurde tatsächlich ein voller Erfolg. Deshalb sollte am 18.9.65 der nächste Tanz mit dieser Gruppe sein. Das war jedoch nicht möglich, weil auf dem Saal der Gaststätte Getreide getrocknet wurde und weil der Saal zu kurzfristig bestellt wurde. Dadurch war der Termin für die Fassbierlieferung überschritten. Wegen der Haltbarkeit des Bieres musste dieser Termin eingehalten werden. Die Brauerei braute kein Bier auf Vorrat. Da die Gruppe für die nächsten Wochen ausgebucht war, wurde als nächster Termin der 9.10. geplant, was jedoch auch nicht ging, weil am 10.10. Wahlen zur Volkskammer waren. Der 16.10. wurde von der Jugend abgelehnt, weil dann nur wenige Wochen bis zur Kirmes verblieben. Somit fiel eine Fortsetzung erst mal aus.

Später wurden immer wieder Jugendtanzveranstaltungen auf dem Saal der Gaststätte „Zur Erholung“ durchgeführt, die meist große Erfolge waren. Wann in Wohlsborn Tanztees veranstaltet wurden, war nicht konkret zu ermitteln. Manche meinen im Herbst 1965, andere sagen, erst ab Mai 1966. Auf alle Fälle hat die Gruppe „The Relations“, in der K.-D. Hasse mitspielte zu einem Tanztee in Wohlsborn gespielt.

Solche Veranstaltungen waren bald in vielen Dörfern zu erleben, ihre Zeit war allerdings bereits Anfang der 70er vorbei, wogegen Jugendtanz am Abend auch die Kirmes erobert. Einen Höhepunkt erlebte Wohlsborn im Juni 1969 zur 700 Jahrfeier. Die Kirmesjugend organisierte an zwei Wochenenden Jugendtanz: am 21.6. Tanztee mit den „Türmers“ und am 28.6. mit den „Polaris“. Dafür war uns der Saal zu klein und so kamen wir auf die Idee, die Halle der LPG (jetzt MBW) als Tanzhalle her zu richten. Die LPG gab uns die Erlaubnis und nach einigen Tagen harter Reinigungsarbeiten war die „Festhalle“ fertig und die Veranstaltungen darin sehr gut besucht.

Bei den Gesprächen zu diesem Beitrag wurden viele Erinnerungen bei meinen Gesprächspartnern geweckt, konkrete, belegbare Fakten waren jedoch nicht mehr abrufbar. Deshalb will ich versuchen, zu dieser Thematik weiter zu recherchieren und einen weiteren Beitrag dazu schreiben.